Europäischer Gerichtshof zu Rechtsbehelfen gegen Überstellungsentscheidungen im Rahmen eines Dublin-Verfahrens

Die sog. „Dublin-III-Verordnung“ legt fest, welcher europäische Staat für die Bearbeitung eines Asylantrages zuständig ist.

Der europäische Staat, in welchem der Asylbewerber sich befindet, kann entscheiden, den Asylbewerber dem zuständigen EU-Mitgliedstaat zu überstellen.

Der betroffene Asylbewerber hat die Möglichkeit eine solche Überstellungsentscheidung vor Gericht anzufechten.

In Belgien kann eine Überstellungsentscheidung im Rahmen einer Nichtigkeitsklage vor dem Rat für Ausländerstreitsachen (RAS) angefochten werden. Der RAS prüft lediglich die Legalität des Überstellungsbeschlusses.

In einem Entscheid C-194/19 vom 15. April 2021 (H.A. g. Belgischer Staat) hat der Europäische Gerichtshof klargestellt, dass das Gericht im Rahmen einer solchen Prüfung die Möglichkeit haben muss, Umstände, welche nach der Überstellungsentscheidung eingetreten sind, zu berücksichtigen, wenn diese entscheidend sind, um zu bestimmen, ob die Dublin-III-Verordnung korrekt angewandt wurde, es sei denn der betroffene Asylbewerber hätte die Möglichkeit aufgrund dieser neuen Elemente einen weiteren Einspruch einzureichen.

Der Rat für Ausländerstreitsachen wird seine bisherige Praxis, bei der Legalitätsprüfung einer Überstellungsentscheidung keinen neuen Elemente zu berücksichtigen, demnach anpassen müssen.

Verfassungsgerichtshof zum Erfordernis einer Umweltprüfung bei der Aufhebung gewisser „kommunaler Raumordnungspläne“

Ein kommunaler Raumordnungsplan ermöglichte es Gemeinden, die Raumordnung auf ihrem Gebiet detailliert zu organisieren.

Ein solcher Plan erlaubte es den Gemeinden, auf kommunaler Ebene den Sektorenplan durch Vervollständigung oder gar Revidierung zu präzisieren.

Seit der Reform der Raumordnungs- und Städtebaugesetzgebung im Jahr 2017 (Einführung des Gesetzbuches für räumliche Entwicklung) spricht man bei kommunalen Raumordnungsplänen, welche den Sektorenplan revidiert haben, von sog. „lokalen Orientierungsschemen“.

Art. D.II.66 § 4 des Gesetzbuches über die räumliche Entwicklung sah in diesem Zusammenhang vor, dass vor dem 22. April 1962 gebilligte Raumordnungspläne, die seit diesem Datum unverändert geblieben waren, und deren Beibehaltung nicht innerhalb eines Jahres ab der Einführung des Gesetzbuches durch den Gemeinderat beschlossen wurde, automatisch aufgehoben wurden. Eine vorherige Umweltprüfung war nicht vorgesehen.

In einem Entscheid Nr. 75/2021 vom 21. Mai 2021 hat der Verfassungsgerichtshof klargestellt, dass der Gesetzgeber eine solche Aufhebung nicht grundsätzlich vom Erfordernis einer Umweltprüfung befreien durfte. Es hätte im Einzelfall geprüft werden müssen, ob eine Umweltprüfung erforderlich war. So sieht die europaïsche Gesetzgebung vor, dass keine Umweltprüfung für Pläne bezüglich „kleiner Gebiete auf lokaler Ebene“ oder bei „geringfügigen Änderungen“ von Plänen erforderlich ist, wenn diese keine erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben können. Laut Verfassungsgerichtshof durfte der Gesetzgeber nicht davon ausgehen, dass jede Aufhebung eines kommunalen Raumordnungsplans, der vor dem 22. April 1962 gebilligt wurde und seitdem nicht mehr verändert wurde, in eine dieser Kategorien fällt.

Die bestehende Regelung verletzte die Art. 10 und 11 der Verfassung (Gleichheitsgebot und Nichtdiskriminierungsverbot) in Verbindung mit der Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme.

Verfassungsgerichtshof zum Anrecht von Personen, die Belgier werden wollen, auf eine Prozesskostenvergütung

Im Rahmen einer Staatsbürgerschaftserklärung hat die Staatsanwaltschaft die Möglichkeit ein negatives Gutachten abzugeben, wenn sie der Ansicht ist, dass die Person, welche Antrag eingereicht hat, um Belgier zu werden, nicht die erforderlichen Bedingungen erfüllt.

Der Antragsteller hat die Möglichkeit dieses negative Gutachten vor dem Familiengericht in Frage zu stellen.

Vor dem Verfassungsgerichtshof wurde die Frage aufgeworfen, ob die Auslegung, wonach der Antragsteller, wenn das negative Gutachten durch das Gericht aufgehoben wird, kein Anrecht auf eine Prozesskostenvergütung zu Lasten der Staatsanwaltschaft hat, verfassungskonform ist.

In einem Entscheid Nr. 72/2021 vom 20. Mai 2021 hat der Verfassungsgerichtshof klargestellt, dass die Staatsanwaltschaft im Rahmen einer solchen Prozedur als Gegenpartei gilt und demnach, wenn sie unterliegt, zu einer Prozesskosten verurteilt werden kann.

Anpassung der Prozedur vor dem Staatsrat

Ein Königlicher Erlass vom 26. April 2021 erlaubt es dem Staatsrat in Kürze Angelegenheiten ohne öffentliche Sitzung zu bearbeiten.

Der Staatsrat kann den Parteien vorschlagen, ein Urteil zu fällen, ohne diese zuvor anzuhören.

Nach Erhalt einer entsprechenden Mitteilung verfügen die Parteien über eine Frist von 15 Tagen, um ggf. eine Anhörung zu beantragen.

Wenn eine Partei eine Anhörung beantragt, wird ein Sitzungsdatum festgelegt.

Wenn keine Partei eine Anhörung beantragt, wird die Angelegenheit im Prinzip in Beratung genommen. Selbst wenn keine Partei eine Anhörung beantragt hat, kann der Staatsrat jedoch eine Sitzung vorsehen, wenn ein neues Element eine kontradiktorische Debatte erfordert.

Insofern die Prozeduren vor dem Staatsrat bereits jetzt hauptsächlich schriftliche Verfahren sind, erhofft sich der Normgeber durch diese Maßnahme eine Beschleunigung der Verfahren.

Verjährungsunterbrechung durch ein Anwaltsschreiben : Die gesetzlichen Bedingungen sind strikt einzuhalten.

In der Regel kann der Anspruch einer Partei verjähren, wenn er nicht innerhalb einer Frist, die durch das Gesetz vorgesehen wird, geltend gemacht wird.  Es gibt jedoch gewisse Unterbrechungs- und Aufhebungsgründe der Verjährung.

So kann zum Beispiel ein Schreiben eines Anwalts an die Gegenpartei die Verjährung des Anspruchs, den sein Mandant geltend machen will, unterbrechen.

Artikel 2244 ZGB sieht jedoch eine Reihe von Bedingungen vor, die erfüllt sein müssen, damit die Verjährungsunterbrechung eintreten kann.

Der Kassationshof urteilte nun, dass diese Bedingungen strikt einzuhalten sind.

In einer Angelegenheit, in der ein Rechtsanwalt das Schreiben per Einschreiben geschickt hat, obwohl das Gesetz vorsieht, dass das Schreiben per Einschreiben mit Rückschein versendet werden muss, hat der Kassationshof entschieden, dass dem Dokument keine verjährungsunterbrechende Wirkung zugesprochen werden kann, obwohl es zwischen den Parteien nicht strittig war, dass der Empfänger den normalen Einschreibebrief erhalten hat (Kass., 15/06/2020, S. 19.0055.N).

 

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