Schulderklärung versus Aussetzung der Urteilsverkündung: welche Strafe ist milder?

Jeder Bürger hat im Strafrecht den Anspruch, dass seine Angelegenheit innerhalb einer vernünftigen Frist beurteilt wird. Wenn der Richter feststellt, dass diese vernünftige Frist am Tag seiner Entscheidung überschritten ist, muss er die Strafe, die er eigentlich ausgesprochen hätte, mindern. Dies kann so weit gehen, dass er eine einfache Schulderklärung ohne Strafe ausspricht.

In diesem Fall, wie in anderen Fällen auch, hat er ebenfalls die Möglichkeit die Aussetzung der Urteilsverkündung auszusprechen, was ebenfalls dazu führt, dass keine Strafe verkündet wird.

Der Kassationshof wurde nun befragt, sich darüber zu äußern, welche der beiden Strafen milder ist. Für das oberste Gericht ist die Aussetzung der Urteilsverkündung die strengere Strafe, insofern sie zurückgenommen werden kann, was bei einer einfachen Schulderklärung nicht möglich ist. (Kass., 13/01/2021, P.20.1203).

In den Fällen, in denen eine Schlichtung verpflichtend ist, ist eine Klage unzulässig, solang die Schlichtung nicht effektiv stattgefunden hat

Es gibt Fälle, wie zum Beispiel im Landpachtrecht (Art. 1345 des Gerichtsgesetzbuches) in denen das Gesetz verlangt, dass eine Schlichtung stattfindet, bevor geklagt wird. Der Kassationshof hat schon geurteilt, dass Klagen, die eingeleitet werden, obwohl die verpflichtende Schlichtung nicht durchgeführt wurde, unzulässig sind. Diese Unrechtmäßigkeit ist auch nicht reparabel, indem man, zum Beispiel die Fortführung des Prozesses solange aussetzt bis man eine Schlichtung unternommen hat, die nach Einleitung der Klage angefragt wurde.

Wie ergeht es jedoch einer Klage, die nach dem Antrag auf Schlichtung eingeleitet wurde, jedoch bevor der Schlichtungstermin stattgefunden hat? Das Gericht 1. Instanz Antwerpen war der Meinung, dass eine solche Klage zulässig ist. Diese Meinung teilte der Kassationshof nicht. Wenn eine Klage eingeleitet wird, bevor der Schlichtungstermin stattgefunden hat ist diese Klage unzulässig (Kass., 12/02/2021, C.20.0095.N).

Verfassungsgerichtshof zur Notwendigkeit einer Rechtsmittelbelehrung bei der Zustellung eines Urteils

Am 10. Februar 2022 (Entscheid Nr. 23/2022) hat der Verfassungsgerichtshof geurteilt, dass Artikel 43 des Gerichtsgesetzbuches gegen die Verfassung und Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Recht auf ein faires Verfahren) verstößt, da er nicht vorschreibt, dass bei der Zustellung eines Urteils, die Rechtsmittel gegen dieses Urteil, die Fristen, innerhalb derer das oder die Rechtsmittel eingereicht werden können, und die Bezeichnung und die Adresse des zuständigen Gerichts angegeben werden müssen.

Um das Recht auf Zugang zu einem Gericht sicherzustellen, sei es jedoch erforderlich, dass der Rechtssuchende ausdrücklich über die Möglichkeit informiert wird, eines oder mehrere Rechtsmittel gegen das Urteil einzureichen, das ihm zugestellt wird.

Der Gesetzgeber wurde aufgefordert eine gesetzliche Grundlage für eine entsprechende Rechtsmittelbelehrung zu schaffen.

Bis dahin (oder spätestens bis zum 31. Dezember 2022) bleiben Zustellungen auch ohne Rechtsmittelbelehrungen gültig.

Die Untersuchungshaft darf nicht als Zwangsmittel gebraucht werden

Jeder Beschuldigte hat das Recht zu schweigen oder zu lügen.  Die Behörden dürfen demnach einen Beschuldigten nicht in Untersuchungshaft setzen, damit er redet, oder die Wahrheit sagt.

Der Haftbefehl, der aus den eben erwähnten Gründen ausgestellt wird, ist illegal.

Vor dem Kassationshof stellte sich jedoch die Frage, ob ein entsprechender Fehler des Untersuchungsrichters im Rahmen des Haftprüfungstermins korrigiert werden kann, d.h. den illegalen Grund durch einen legalen Grund ersetzt werden kann.

Der Kassationshof verneint dies.  Ein Haftbefehl, welcher ausgestellt wird, damit ein Beschuldigter redet, bzw. Lügen berichtigt, kann im Rahmen der Haftprüfung nicht korrigiert werden und bleibt illegal.

(Kass., 10/02/2021, P.21.0163.F)

Kassationshof: Im Rahmen eines Staatenlosigkeitsantrages sind die Gerichte zuständig, um zu bestimmen, ob eine Körperschaft ein Staat ist.

Es ist umstritten, ob Palästina ein Staat ist und demnach ob Palästinenser eine Nationalität haben oder staatenlos sind.

Palästina wurde nicht durch die belgische Regierung als Staat anerkannt.

Für den Kassationshof (Entscheid C.21.0095.F vom 19. November 2021) ist dies jedoch nicht ausschlaggebend, um zu bestimmen, ob es sich um einen Staat handelt.

Vielmehr müsse das völkerrechtliche Gewohnheitsrecht herangezogen werden. Demnach bestehe ein Staat, wenn vier Bedingungen erfüllt sind:

  • Es muss eine Bevölkerung geben.
  • Es muss ein bestimmtes Gebiet geben.
  • Es muss eine Regierung geben, welche eine reelle und effektive Autorität ausübt.
  • Die Körperschaft muss die Fähigkeit aufweisen, mit anderen Staaten in Beziehung zu treten.

Zu der Frage, ob diese vier Bedingungen im Falle von Palästina erfüllt sind, hat sich der Kassationshof nicht geäußert.

Somit bleibt trotz der höchstrichterlichen Rechtsprechung alles beim Alten: Während manche Gerichte davon ausgehen, dass die vier vorgenannten Bedingungen erfüllt sind und Palästina ein Staat ist, äußern andere Gerichte Zweifel daran, dass Palästina über eine souveräne Staatsgewalt sowie die Fähigkeit mit anderen Staaten in Beziehung zu treten verfügt.

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