Ein Geisteskranker ist nicht schuldfähig und somit nicht strafbar, selbst wenn er diesen Zustand selbst herbeigeführt hat

Der Appellationshof Brüssel hat am 13. Januar 2021 eine Person für verschiedene Straftaten schuldig erklärt, obwohl er festgestellt hat, dass diese Person nicht schuldfähig im Sinne des Artikels 71 des Strafgesetzbuches war (Geisteskrankheit), weil die Geisteskrankheit durch den langandauernden Cannabis- und Alkoholkonsum durch diese Person selbst verursacht wurde.

Der Kassationshof hat dieses Urteil kassiert.  Das Gesetz unterscheidet nicht zwischen der Geisteskrankheit, die aus eigenem Verschulden hervorgerufen wird und die, die dies nicht tut.

Der Kassationshof (vermutlich um verschiedene Alkoholexzesse als Entschuldigungsgrund gelten zu lassen) stellt jedoch wohl fest, dass die Geistesabwesenheit, um als Rechtfertigungsgrund angesehen zu werden, eine gewisse Dauer haben muss (Kass., 25/05/2021, P.21.0266.N).

Der Kassationshof äußert sich zu der Frage, welche „schwerwiegenden persönlichen Fakten“ sich dem Erwerb der belgischen Nationalität widersetzen

Das Gesetzbuch über die belgische Nationalität sieht vor, dass der Prokurator des Königs eine ungünstige Stellungnahme zu einer Staatsbürgerschaftserklärung abgegeben kann, wenn „schwerwiegende persönliche Fakten“ vorliegen.

Es ist umstritten, ob nur die im Gesetzbuch und im Ausführungserlass aufgelisteten Fakten einen Hindernisgrund zum Erwerb der belgischen Nationalität darstellen oder ob auch andere Gründe als „schwerwiegende persönliche Fakten“ angeführt werden können.

Der Kassationshof hat nun entschieden, dass nur die in der gesetzlichen/verordnungsrechtlichen Liste enthaltenen Fakten durch den Prokurator des Königs als „schwerwiegende persönliche Fakten“ angeführt werden dürfen (Kass., Entscheid C.20.0448.F vom 17. Juni 2022). Es handelt sich demnach um eine abschließende Auflistung.

Eine vorherige Vorwarnung durch den feststellenden Beamten ist nicht nötig, um eine Verurteilung wegen eines Urbanismusverstoßes zu erwirken

Artikel D.VII.4 des Gesetzbuches der räumlichen Entwicklung sieht vor, dass, für die Vergehen, die er beschreibt, Urbanismusstraftaten nur dann verfolgt werden können, wenn der Zuwiderhandelnde vorher verwarnt wurde, und ihm eine Frist von 2 Monaten bis 2 Jahren eingeräumt wird, um das Vergehen in Ordnung zu bringen.

In einer Angelegenheit, in der ein Polizeibeamter eine entsprechende Feststellung gemacht hat und die betroffene Person verfolgt wurde, ohne vorher die entsprechende Verwarnung zu versenden, entschied der Kassationshof, dass die Entscheidung des Gerichts, welches den Zuwiderhandelnden trotzdem verurteilt, rechtmäßig ist. (Kass., 20/04/2022, P. 21.1022.F).

Der EGMR fordert den Belgischen Staat auf, eine Verurteilung, einen Asylbewerber zu beherbergen, auszuführen

Seit Monaten sind zahlreiche Asylbewerber in Belgien mangels ausreichender Aufnahmeplätze auf sich selbst gestellt, bzw. auf die Solidarität der belgischen Zivilgesellschaft angewiesen. Viele leben auf der Straße.

In diesem Kontext hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erstmals eine einstweilige Maßnahme angeordnet:

Einem Asylbewerber war durch FEDASIL kein Aufnahmeplatz zugewiesen worden. Daraufhin zog er vor das Arbeitsgericht, welches FEDASIL unter Androhung eines Zwangsgeldes verurteilte, ihn zu beherbergen und ihm medizinische Unterstützung zu gewähren. Trotz mehrfacher Aufforderungen, diesen Asylbewerber unterzubringen, war FEDASIL der Verurteilung auch drei Monate nach der Verurteilung noch nicht nachgekommen. Der betroffene Asylbewerber lebte unterdessen weiterhin auf der Straße.

Der Belgische Staat wurde daher am 31. Oktober 2022 durch den EGMR (Rs. Camara g. Belgien) aufgefordert, die Verurteilung durch das belgische Arbeitsgericht, den Asylbewerber unterzubringen und ihm eine materielle Hilfe zu gewähren, auszuführen, damit er seinen Grundbedürfnissen nachkommen kann.

Zur Info: Der Gerichtshof gibt Anträgen auf einstweilige Maßnahmen nur in Ausnahmefällen statt, wenn der Antragsteller - ohne solche Maßnahmen - einem tatsächlichen Risiko ausgesetzt wäre, einen nicht wiedergutzumachenden Schaden zu erleiden. 

Wallonische Region verbietet Ausweisungen vom 1. November 2022 bis zum 15. März 2023

Durch ein Dekret vom 22. September 2022, welches am 11. Oktober 2022 in Kraft tritt, verbietet die Wallonische Region die Ausweisungen von Mietern zwischen dem 1. November 2022 und dem 15. März 2023, selbst wenn diese durch eine Gerichtsentscheidung oder eine Verwaltungsentscheidung angeordnet wurde, es sei denn die Grundlage für diese Entscheidung sei die öffentliche Sicherheit gewesen, die Gesundheit der Person, die die Immobilie benutzt oder wenn diese die Immobilie willentlich beschädigt.

Seitdem die Deutschsprachige Gemeinschaft die Kompetenz für den Wohnungsbau übernommen hat, gelten die Entscheidungen der Wallonischen Region nicht mehr auf dem Deutschsprachigen Sprachgebiet.

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